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Linde Peters - Bewegte Flächen, tanzender Punkt

Computer  generierte  Farbpunktverteilungen  als  Kunstform
Vergleiche mit natürlichen Prozessen


Es ist jetzt über 35 Jahre her,  also lange bevor ich einen Computer hatte und damit umgehen konnte, dass ich zum ersten Mal Bildelemente per Zufall aneinanderreihte. Zufall bedeutete damals geworfene Münzen, Würfeln oder Zuordnung zu Buchstaben und entsprechende Codierung von Texten.
Diese Projekte haben mich seither nicht mehr losgelassen. Die Gründe dafür liegen im emotionalen Bereich, was bedeutet, sie sind schwer formulierbar. Ich habe das Gefühl, in Phantasie-Welten einzutauchen und bin überwältigt von der Schönheit dessen, was ich dort antreffe.

Mehr Versuche, diese emotionale Seite zu schildern,  möchte ich  nicht machen.  Ich hoffe, dass sich einiges davon durch die Betrachtung mitteilt.

Aber ich möchte noch einen Gedanken äussern,  den ich aus dem Betrachten der Bilder gewonnen habe und der die Arbeiten seitdem begleitet. Ich sehe Parallelen mit Erscheinungsformen der Natur  und damit eine Ursache für das ästhetische Empfinden.  Auch in der Natur existieren Kombinationen aus Gesetzmässigkeiten und Zufall: Die Verästellungen einer Baumkrone, einer Koralle oder einer Weinranke an einer Hausmauer, Moos auf Stein, Rost auf Metall oder die Umrisse eines Kontinents aus der Satellitenperspektive.

Um Missverständnissen entgegenzuwirken:  Ich will nicht Zufall darstellen und ich will nicht beliebige Zufälle ablaufen lassen, sondern der Zufall ist für mich ein Produktionsmittel,  das ich nach Bedarf einsetze und begrenze. Angenommen, ich habe eine Idee für ein Programm  und eine Vorstellung, wie es sich auswirken könnte.  Angenommen, das erste Ergebnis erweist sich als verbesserungbedürftig: zu langweilig oder zu unruhig, zu bunt oder bestimmte Effekte stören. So wird es entsprechend variiert – oder verworfen. Das führt  zu Programmen, die sehr Vieles an gezielter Steuerung enthalten , in Bezug auf Farbwahl, Flächenaufteilung und deren zeitliche Abfolge.

Irgendwann in den 70er Jahren begann ich, kariertes Papier zufallsverteilt mit den Ziffern „1" und „2" zu beschriften. Eine handvoll Pfennige wurden in den geschlossenen Händen geschüttelt und ohne hinzuschauen auf dem Tisch auf eine Reihe gebracht. Kopf – Zahl – Kopf –Zahl = 1 – 2 – 1 – 2. In jedes Kästchen eine Ziffer. Flächen mit gleichen Ziffern wurden verbunden und angefärbt. Ihre Formen wuchsen mit jeder Zahlenreihe weiter. Ich hatte das Gefühl, eine neue, von mir geschaffene Welt zu betreten. So entstanden „Landkarten“ aus Kontinenten und Meeren mit kleinen und grossen Seen in den Landmassen und kleinen und grossen Inseln in den Meeren.

Das war der Anfang von etwas, was im Laufe der folgenden Jahrzehnte sehr verschiedene Formen angenommen hat. Allen gemeinsam ist die Faszination, die sie auf mich ausüben und die zwei Ursachen hat. Die eine ist das Betreten von in meinem Kopf entstandenen Welten und die andere ist die eigene Schönheit der Dinge, die dort entstehen.

Ich denke, dass Verbindungen aus Zufall und Gesetzmässigkeit ein Grundprinzip aller Baupläne und anderer Erscheinungsformen der Natur sind, der belebten wie der unbelebten, ich denke an Flussläufe, Eisblumen am Fenster, Gebirgszüge in Luftaufnahmen oder eine Häuserwand mit wildem Wein im Winter. Wenn bei den Weinranken die Blätter abgefallen sind, erkennt man, wie der Kampf um einen sonnigen Fleck an der Wand zu einer etwa gleichmässigen Verteilung des Geästs geführt hat, der man noch die Dynamik ansieht, die dahin geführt hat.

Ich will nun das Prinzip meiner Grafiken beschreiben, und dabei die Auswahlmöglichkeiten aufzählen, um ein Gefühl für die Gestaltungsmöglichkeiten dabei zu vermitteln.

Die Grundstruktur ist immer eine grosse Fläche, die (gedanklich) in Teilflächen unterteilt ist. Das von mir verwendete Programm unterteilt den Bildschirm in 640 x 350 Pixel. In dem unten gezeigten Beispiel könnten demnach die Quadrate des linken Bildes eine Kantenlänge von 150 Pixeln haben und die des rechten eine von 50 Pixeln. Die kleinsten Teilflächen, die ich verwendet habe und die ich als Farb-„Punkte“ bezeichne, haben eine Ausdehnung von 2 x 4 bis 4 x 4 Pixeln. Noch weniger ist nicht möglich, da sonst kein Spielraum für Farbmischungen existiert. (Dazu später.)

Ausgegangen wird von einer einheitlichen Hintergrundfarbe und von einer Teilfläche, die zunächst die gleiche Farbe hat. Die Teilfläche ändert fortan laufend ihre Position und färbt sich dabei allmählich um.

Bewegung der Teilflächen


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Wie soll diese Teilfläche wandern? Hierfür gibt es etliche Möglichkeiten.
-  In alle 8 Richtungen mit gleicher Wahrscheinlichkeit.
 -  Nur waagerecht und senkrecht.
 -  Nur diagonal (scheidet aus, da es zu schachbrettartigen Farbverteilungen führt).
 -  Waagerecht und senkrecht bevorzugt.
 -  Ausser an den Rändern nur waagerecht.
 -  Nur waagerecht oder nur senkrecht, aber Abbiegen nur nach 2, 3 oder 4 Kästchen möglich. (Führt zu einer Tendenz, Schlaufen zu bilden mit 1 bis 2 andersfarbigen Kästchen in der Mitte)
 -  Was passiert an den Rändern?
     -  Spurwechsel bei den sonst nur waagerechten Verläufen.
     -  Normalerweise werden die Flächen am Rand reflektiert. Das kann zu Staus in den Ecken führen. Dagegen kann man einen rechnerischen Ausgleich schaffen.
(Ist die Anzahl der Teilflächen gering (3 x 4 oder 4 x 7 o.ä.) so spielt die Art der Bewegung keine Rolle, d.h. die Auswahl kann statistisch erfolgen.)

Auswahl der Farben

Gesamtspektrum
Für die Farbmischungen stehen insgesamt 16 Grundtöne zur Verfügung. (Davon habe ich die zwei Lila-Töne häufig wegsortiert. Beim zufälligen Zusammentreffen von Rot und Blau entsteht auch Lila und das ist meist ausreichend. Es bleibt also ein Spektrum aus 14 Farbtönen. Je nach Vorhaben können davon entweder nur die leuchtenden, nur die dunklen, oder ein erhöhter Anteil Grautöne gewählt werden oder wie auch immer. In jedem Fall aber gibt es ein Gesamtspektrum der in diesem Fall möglichen Farbtöne. Daraus wird ein Teil ausgewählt, den ich als  a k t u e l l e s  Teilspektrum bezeichnen will.

Aktuelles Teilspektrum
Ziel ist eine mehr oder weniger allmähliche Farbveränderung, die vom Betrachter als ein quasi organisches Geschehen nachvollzogen werden kann.
Ein Teilspektrum besteht aus etwa 3 bis 5 Farbtönen. Es ist über einen längeren Zeitraum bestimmend für die Farbentwicklung. In der Zeit werden diese wenigen Farbtöne mehrfach durchmischt, sodass die resultierenden Farbe in ähnlichen, fein abgestuften Tönen variiert.
Dabei kann man von den stumpfen Farbmischungen zu klareren Farbtönungen gelangen, wenn man dem einen oder anderen der Grundtöne die Möglichkeit gibt, Vorrang vor den anderen zu bekommen.
Nach Ablauf einer solchen Periode wird einer der Farbtöne im Teilspektrum durch einen anderen aus dem Gesamtspektrum abgelöst.
Welche Farbtöne neu in ein Spektrum eingemischt werden, kann man entweder völlig dem Zufall überlassen, oder man kann mit bestimmter Regelmässigkeit leuchtende und nicht leuchtende (hellgrau, dunkelgrau, braun) Töne einmischen oder aber im Wechsel helle und dunkle Töne nehmen.
Man kann auch eine Farbfolge vorher festlegen.
Ausserdem kann man ruhige Farben länger laufen lassen und für leuchtende Farben kürzere Runden ansetzen.

Sonderfall: Bei einer stumpf aussehenden Mischung aus leuchtenden Farben kann Das Abdecken einer der Farben durch einen Grauton eine Farbe vortäuschen.

Farbstruktur innerhalb einer Fläche
Die Verteilung der Farben auf die Pixel kann in dem vom Programm errechneten Verhältnis statistisch erfolgen. Dann sehen die Flächen meliert aus.

Wenn man eine solche Melierung nicht will, muss man jedem Farbton einen Bild-„Punkt“ zuordnen, der eine bestimmte Mindestausdehnung hat: 2 x 4, 3 x 4 oder 4 x 4 Pixel (s.o.).



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Die obigen Bilder zeigen ein Beispiel  für eine Zufallsverteilung von 3 Farben im Mengenverhältnis 2:1:1.
(Ein kleines Quadrat stellt ein Pixel dar). Diese Anordnung verteilt sich über die ganze, mit dieser Mischfarbe „ausgemalte“ Teilfläche. D. h. es wiederholen sich auch dieselben Nachbarschaften oder Häufungen, so dass die ganze Fläche in einer sich wiederholenden feinen Musterung strukturiert oder gestreift erscheint.



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Diesen Effekt kann man verringern, wenn man die Fläche vorstrukturiert und die neu hinzukommenden Farben zunächst nur entlang einer solchen Substruktur einführt.

Eine 3. Möglichkeit ist es, die Filterwerte der Farbmischungen, die das Programm ausgibt, zu errechnen und diese Mischfarbe „von Hand“ in die Flächen einzusetzen. Wenn sich ein Bild-„Punkt“ z.B. aus 4 roten, 2 braunen und 2 ockerfarbenen Pixeln zusammensetzt, addiert man 2 x den Filterwert von Rot, und je 1 x den von Blau und Ocker und teilt durch 4. Man erhält dann die Mischfarbe, die dem Eindruck der Punktemischung entspricht. Solche Bilder kann man natürlich nicht vor dem Betrachter entstehen lassen, sondern nur vorgefertigt präsentieren, da eine Programmierung von Mischfarben in Basic nicht möglich ist (s. Abschnitt „Präsentation“).

(Andere Effekte, die ich in Klammern setze, weil ich sie nur vorübergehend eingesetzt habe, sind verkanntete Begrenzungslinien der Teilflächen (das sieht dann aus wie brüchiges Mauerwerk) oder unscharfe Begrenzungen (die Teilflächen wirken dann wie Wattetupfer).)

Betrachtung

Bei den nun folgenden Anmerkungen gehe ich von dem aus, wie es mir beim Betrachten ergeht und vermute, dass die Wirkung auf andere vergleichbar sein könnte. Darüber etwas zu erfahren und darüber zu diskutieren ist ein wesentlicher Grund, warum ich das zeige.

Beim Betrachten eines abstrakten Bildes habe ich Assoziationen. (Von konkreten Assoziationen wie Rost auf Metall, Moos auf Stein, Wolken, Landkarten u.ä. – will ich hier gar nicht sprechen.) Es gibt auch abstrakte Assoziationen. Ich sehe Gegensätze, Abstufungen, Haupt- und Nebenakteure, Zusammenklänge, Nebenklänge, verschiedene Formen von Gleichgewichten. Das alles verändert sich, baut sich aus. Plötzlich betritt ein neuer Farbton die Fläche. Er kann zunächst als Störfaktor empfunden werden. „Der passt nicht rein“.Aber mit seiner Zunahme auf der Fläche ändert sich dieser Eindruck. Allmählich übernimmt die neue Farbe eine Rolle und verändert die Rollen der anderen Farbflächen, oder Strukturen. Das ganze Geschehen richtet sich neu aus, erhält einen anderen Schwerpunkt, eine andere Gesetzmässigkeit. Nach einiger Zeit befindet sich der Betrachter in einem – verglichen mit der vorausgegenagenen Situation – grundlegend veränderten Umfeld. Er geht bei dieser Reise sozusagen nachvollziehend mit. Seine Aufmerksamkeit und seine Phantasie werden gleichermassen lebendig wach und in Aktion gehalten ..... wenn die Bildfolge für ihn dafür geeignet ist.

Präsentation

Der „Gegenstand“, den es zu präsentieren gilt, ist ein Ablauf von Bildern, erstellt durch ein Computerprogramm. Wie kann ein solcher „Gegenstand“ vorgestellt werden?

1) Das Programm vor den Zuschauern ablaufen lassen.

V o r t e i l e:
Das ist die einfachste und direkteste Methode.
Der Betrachter erlebt den Vorgang unmittelbar mit.

N a c h t e i l e :
Man hat keine Eingriffsmöglichkeiten in den Ablauf (vgl. Abschn 2).

Bei grösseren Teilflächen sieht man, wie das Programm die Fläche aus den Punkten aufbaut (z.B. spaltenweise von links nach rechts). Das ist ein Effekt, der sich wegen seiner Deutlichkeit und Wiederholung  in der Wahrnehmung der Betrachter eingräbt, der aber mit dem Konzept dessen, was da abläuft, nichts zu tun hat und daher eher störend wirkt (vgl. Abschn. 2).

Diese Art der Präsentation ist abhängig von einer entsprechenden technischen Ausstattung.

2) Eine Anzahl von Bildern aus dem Ablauf auswählen und als Dia-Show laufen lassen

V o r t e i l e:
Bei den Programm-Abläufen gibt es Phasen schneller Veränderungen und solche, in denen sich wenig tut. Durch die Auswahl der Bilder kann der Ablauf bei der Vorführung gerafft oder gedehnt werden. Dabei kann man verschiedene Phasen auch nach ästhetischen Kriterien unterschiedlich betonen.

Durch die Überblendung taucht die neue Version quasi aus dem Hintergrund auf und scheint ruhig auf den Betrachter zuzuwachsen, ohne optische Bewegung.

N a c h t e i l :
Wenn man bei einer solchen Dia-ähnlichen Vorführung kleine Schritte wählt, um die Sprünge bei den Bildveränderungen nicht zu gross werden zu lassen, kommt man auf eine grosse Stückzahl von Bildern.

3) Ausdrucke auf Papier

V o r t e i l e:
Der Betrachter bestimmt, wie lange er welches Bild anschaut. Er kann vorwärts und rückwärts gehen und Bilder vergleichen, d.h. er kann sich in dem Vorgang aktiv bewegen, gleich ob die Bilder an der Wand hängen, gebunden sind oder als Serie loser Blätter vorliegen.

Man ist nicht an eine Technik gebunden.

P r o b l e m e:
Die Farben kommen auf dem Papier anders als auf dem Bildschirm.
Z.T. kann man das dadurch ausgleichen, dass man die Filterwerte für die Farben angleicht. Man wählt sie dann so, dass die abgewandelte Farbe auf dem Papier ähnlich aussieht wie die unveränderte Farbe auf dem Bildschirm. So weit wäre das nur ein technisches Problem.

Leider reicht das im Allgemeinen nicht. Für manche Farben gibt es keine Werte, die sie auf dem Papier so aussehen lassen wie auf dem Bildschirm (jedenfalls nicht mit meinem Farbdrucker). Das gilt speziell für helles warmes Blau. Deshalb habe ich für die Ausdrucke das ganze Farbgefüge umkonzipiert. D.h. ich habe auch die anderen Farbtöne verändert und zwar so, dass das ursprüngliche Zusammenspiel der „Akteure“, wie ich es im vorigen Abschnitt nannte, in etwa wiederhergestellt war. „In etwa“ heisst, ich habe mich von dem ursprünlichen „Gegenstand“ verabschiedet und etwas partiell Neues daraus gemacht, etwas, das ich auf dem Papier als zufriedenstellend empfand. Das ging nicht immer – ich habe auch Serien verworfen.

Die Zahl der Papierbilder muss kleiner sein als bei einer „Dia-Show, denn die Unterschiede von Bild zu Bild müssen grösser sein, um sie angemessen wahrnehmen zu können. Der Blick bleibt ja nicht auf der Fläche und nimmt die eintretenden Änderung als Bewegung wahr, sondern der Blick bewegt sich zum anderen Bild und beginnt nach Unterschieden zu suchen. Das ist eine grundsätzlich andere Situation.

So weit zur Frage: Bildschirm oder Papier. Wenn die Antwort heisst: Papier, stellt sich eine weitere Frage:
nebeneinander an der Wand?
lose Blätter in der Hand (bzw. in einer Mappe oder Schachtel)?
oder fest gebunden?

An der Wand? Das scheidet für mich aus. Wir alle kennen den Anblick einer grösseren Zahl von Fernsehgeräten im Warenhaus. Eine Person auf dem Bildschirm macht eine Handbewegung und man glaubt, ein ganzes Ballett von Menschen zu sehen, die sich synchron bewegen. Dasselbe Phänomen tritt auch bei den Bildreihen auf und betont das Gemeinsame auf Kosten der Unterschiede.

Ich habe mich für lose Blätter entschieden, die einzeln aufgenommen und bei Bedarf zum Vergleich nebeneinander gelegt werden können.

Linde Peters